Im September 2023 wurden die Ergebnisse und Erkenntnisse der neuen „Mitte-Studie 2023“ der FES (Friedrich-Ebert-Stiftung) der Presse und Öffentlichkeit präsentiert und mit Erschrecken zur Kenntnis genommen: 8 % bzw. jeder 12. Befragte Bundesbürger verfügt über ein „geschlossen rechtsextremes Weltbild“ und 6 % befürworten eine Diktatur bzw. einen straken Führer – während es in den Vorjahren „nur“ 2–4 % waren. Die politische Selbstverortung der Befragten liegt zu über 15 % rechts von der Mitte (zuvor 10 %). Die Autoren, bekannte und renommierte Sozialwissenschaftler*innen konstatieren einen (angeblich) neuen Rechtsruck hin zur Mitte in Deutschland. Fazit: „Völkische und rechtsextreme Positionen sind auf dem Vormarsch“. Die Ergebnisse sind erschütternd, skandalös und lassen aufschrecken – aber sind sie „neu“? Die Autor*innen fordern, und auch das ist nicht neu, stärker in politische Bildung zu investieren.
Bereits die SINUS-Studie von 1981 (!) zum rechtsextremen Gedankengut der Wahlbevölkerung in Westdeutschland hatte als Ergebnis: 13 % (in Worten: dreizehn Prozent) der Wahlberechtigten verfügen über ein „geschlossen rechtsextremes Weltbild“; jeder Zweite davon befürwortet „Gewalt“ als Mittel der politischen Konfliktlösung und 37 % (!) sind empfänglich bzw. sympathisieren mit rechten Denkinhalten. Die Autoren erklären dieses Faktum mit: „Insbesondere die Konservativen hätten rechtsradikales Gedankengut ‚salonfähig’ gemacht“. Man fühlt sich stark in die Gegenwart versetzt.
Rechtsextremes Gedankengut bzw. Ideologie wurde 1981 an Hand von 6 Merkmalen definiert: Autoritarismus (Wunsch nach starker Führung, Diktatur), Nationalismus (Deutschland über alles), Fremdenfeindlichkeit (Rassismus), Wohlstandschauvenismus (Diskriminierung von Randgruppen), Antisemitismus (Judenfeindlichkeit) und Pronazismus („Es war doch nicht alles schlecht“, Hitler-Verehrung). Diese Kriterien sind auch heute noch gültig.
Zu fragen ist: Hat sich unsere Gesellschaft strukturell (Klassengesellschaft) bzw. in ihrem Wesen (demokratischer Kapitalismus) verändert – oder eher nicht? Worauf beruhen die unterschiedlichen Ergebnisse (sozialer Wandel, Pandemie, Untersuchungsmethoden)? Hat die politische Bildung im Nachkriegs-West-Deutschland und nach der Deutschen Einheit versagt? Wozu soziologische Studien, wenn sie keine Konsequenzen haben?
Literatur:
Greiffenhagen, Martin (1981): 5 Millionen Deutsche: ‚Wir sollten wieder einen Führer haben …‘. Die SINUS-Studie über rechtsextreme Einstellungen bei den Deutschen. Reinbek bei Hamburg
Quelle:
mc005 / CC-BY-SA 3.0 (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Election_posters_on_Fortvej.jpg)