Zusammenfassung
Die objektive gesellschaftliche Wirklichkeit (Realität) können wir wissenschaftlich, d.h. empirisch, wegen ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit, nicht in ihrer Totalität erfassen – empirisch nachweisbar sind nur „Perspektiven“, Sichtweisen und Deutungen der Wirklichkeit, also Wirklichkeiten
“Erwachsene sind lernfähig, aber unbelehrbar.”
(Horst Siebert — Andragoge)
Prämissen und Ausgangssituation
Die objektive gesellschaftliche Wirklichkeit (Realität) können wir wissenschaftlich, d.h. empirisch, wegen ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit, nicht in ihrer Totalität erfassen – empirisch nachweisbar sind nur „Perspektiven“, Sichtweisen und Deutungen der Wirklichkeit, also Wirklichkeiten (Plural). Ich unterscheide also zwischen objektiver Realität und sozial konstruierten, empirisch zugänglichen Wirklichkeiten. Obwohl existentiell neue Herausforderungen regionaler, nationaler und internationaler Art den politischen Alltag aller Bürger* innen und die staatliche Politik im engeren Sinne betreffen und zum innovativen und kreativen politischen Denken und Handeln provozieren müssten, ist m.E. keine entscheidende Bewegung in der wissenschaftlichen Diskussion, um die politische Bildung zu beobachten. Dagegen haben Industrie und Wirtschaft sowie deren Interessenvertreter mit einem neuen Konzept „funktionale Weiterbildung”, reagiert, konkretisiert als „Kompetenz- oder Qualifizierungsoffensive” und die zu kurzfristig verwertbaren instrumentellen Produktionswissen führen soll. Einigkeit nach außen scheint nur darin zu bestehen, dass dem empirisch belegten passiv-apathischen Rückzug und der Desintegration großer Bevölkerungsteile durch politische Bildung gemäß dem Leitbild des – jetzt kommen schöne Worte – selbständigen, mündigen, kritischen, kompetenten und aktiv-politisch partizipierendem Bürger entgegengewirkt werden soll. Ferner wird zur Beruhigung konstatiert, dass „der politischen Bildung im Rahmen der Weiterbildung weiterhin eine besondere Bedeutung zu-kommt. Politische Bildung gehört zur Innenausstattung der politischen Kultur in unserer Demokratie”.
Theoretische Annäherungsversuche
In der Diskussion um politische Bildung geht es in der Regel vor allem um vier Punkte, die vor dem Hintergrund allgemeiner gesellschaftlicher und globaler Entwicklungen, Risiken und Veränderungen (ökologischer, ökonomischer, technologischer, medialer Art) betrachtet werden (müssen):
- Politik (Verständnis und Begriff, eng — weit);
- Bildung (Verständnis und Begriff in Abgrenzung oder Annäherung zu Lernen, Qualifikation, Kompetenz, Erziehung, Sozialisation);
- Menschenbild (ganzheitlich, christlich, Menschen „Menschenbild und Menschenrechte“);
- Gesellschaftsbild (vgl. Adorno: „Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft”?, „Informationsgesellschaft oder Überwachungsstaat”? oder unser Dauerbrenner „In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich?“).
Es wird ersichtlich, dass in diesen vier zentralen Fundamenten jeglicher Konzeption von politischer Bildung bestenfalls ein äußerlicher verbaler Konsens in einer pluralistischen Gesellschaft bestehen kann. Konsensfähig scheint jedoch die Annahme: Politische Bildung bezieht sich qua Definition auf das „Politische”. Das Politische kann nur das sein, was allgemein ist bzw. alle Menschen betrifft – Politik, Bildung, Mensch, Gesellschaft. Politische Bildung ist Allgemeinbildung. Auch in wissenschaftlichen Disziplinen, die zur Begründung einer (Didaktik der) politischen Bildung herangezogen wer-den (Politikwissenschaft, Soziologie, Geschichtswissenschaft, Pädagogik, Anthropologie etc.), fußen theoretische Konzepte z.B. über Erziehung oder Sozialisation) letztlich auf vor- bzw. außerwissenschaftlichen Setzungen (Prämissen), die nicht mehr stringent und rein wissenschaftlich ableitbar sind (z.B. Menschen verhalten sich rollengemäß). Auch Wissenschaftler haben spezifische biographische Erfahrungen und gesellschaftliche Interessen, die in ihre Theoriekonstruktionen (unbewusst?) eingehen. Es sind die Alltagstheorien (Ideologien, Bilder) der Forscher, die ihre Theorien und Forschungen mit-determinieren – zumindest in den Human- und Sozialwissenschaften. Von daher ist es nicht vertretbar und zu legitimieren, von einer(!) bestimmten Auffassung von Politik, Bildung, Mensch oder Gesellschaft her politische Bildung (und ihre Ziele, Inhalte, Aufgaben usw.) zu betreiben, da dann alle an-deren Auffassungen (Perspektiven) gleichsam dogmatisch ausgegrenzt bzw. diskriminiert werden. Teilnehmer an Veranstaltungen der politischen Bildung haben das Recht, umfassend, d.h. alle(!) Auffassungen wissenschaftlicher und alltags-theoretischer Provenienz kennenzulernen und darüber informiert und aufgeklärt zu werden, damit diese dann auch auf Interessen und ideologische Herkunft hin hinterfragt und (gegebenenfalls) in Frage gestellt werden können.
Die Ableitung pädagogisch-politischer (normativer!) Ziele und Inhalte aus einer (!) sozialwissenschaftlichen Theorieposition, die den Anspruch hat, objektiv(!) und wertfrei (!) zu informieren, klammert immer andere (ebenso legitime?) Positionen aus und reflektiert in der Regel nicht die vor- oder außerwissenschaftlichen Prämissen (anthropologischer und/oder ideologischer Natur) des Ansatzes. Ferner liegt in der Regel ein Bruch zwischen (objektiv-neutraler) sozialwissenschaftlicher Analyse und pädagogisch-politischer Zielsetzung vor. Letzteres Dilemma kann nur überwunden werden, wenn sich die Sozialwissenschaften (wie im Falle marxistischer Versionen oder in der Kritischen Theorie) selbst als parteilich, normativ und politisch verstehen. Der erwähnte „Bruch” ist zwar dann über-wunden, aber auf Kosten von Dogmatismus, Exklusion und Nicht-Berücksichtigung anderer Prämissen. Ebenso ist dann das Recht auf umfassende und differenzierte Information und Wissensvermittlung nicht berücksichtigt. Grundlage muss auch hier der „Beutelsbacher Konsens“ sein.
Ideologien, als Gegenstand politischer Bildung, sind Alltagstheorien bzw. Deutungen und Überzeugungen, in denen Erfahrungen und Interessen bestimmter Lebenslagen (von Individuen, meist Gruppen) zum Ausdruck kommen. Wer sich ein empirisch unterlegtes Bild von diesen Ideologien (Alltagstheorien) und Deutungen (Meinungen, Auffassungen, Überzeugungen) machen kann sowie deren Entstehung, Entwicklung und Verfestigung bei sich und anderen reflektieren (und not-falls korrigieren) kann, ist politisch gebildet.
Anleihen beim Klassiker George H. Mead
„Die Wissenssoziologie erforscht die Beziehungen zwischen Wissen, Bewusstsein bzw. den Vorstellungen von materiellen und sozialen Zusammenhängen einerseits und den sozialen Strukturen und Prozessen, in denen solches Wissen entsteht, andererseits” (Lexikon der Soziologie). Es geht in der Wissens-soziologie demnach um die „Seinsverbundenheit des Den-kens” (wer denkt wie und warum?) und um die Bedingungen des Entstehens und der Vermittlung von Wissen, Ideologien und/ oder Weltanschauungen (z.B. Auffassungen über Phäno-mene der Gesellschaft wie Ungleichheit, Ungerechtigkeit, Ur-sachen von Krieg oder Klimakatastrophe usw.) und deren Konsequenzen für das Leben und Handeln von Menschen in Gruppen, Klassen oder Organisationen, politischen Verbän-den usw., die bestimmte Interessen vertreten.
Wissenssoziologie ist eng verbunden mit der „Analyse und Kritik von Ideologien” und deren Geschichte, ist Ideologiekritik im engeren Sinn („gesellschaftliche Aufklärung gegen irrationale, bewusstseinsverhüllende Herrschaft”) oder im weiteren Sinne als „totaler Ideologieverdacht” gegen das Denken aller Menschen (Karl Mannheim). Es gibt kein ideologiefreies Denken – theoretisch nur bei der „freischwebenden Intelligenz“ (Karl Mannheim). Wissen und Erkenntnisse, Meinungen, Interpretationen und Auffassungen sind demnach immer relativ, d.h. abhängig und determiniert von Erfahrungen, „Interessen und gesellschaftlicher Einbettung in Gruppen oder Organisationen“. Die Wissenssoziologie basiert auf der empirischen (!) Prämisse, dass die Auffassungen, Alltagstheorien, Interpretationen usw. über die soziale Wirklichkeit gesellschaftlich konstruiert sind (Peter Berger/ Thomas Luckmann) und das Handeln der Menschen bestimmen. Kenntnis dieser unterschiedlichen Deutungsmuster, deren Entstehung, Weitervermittlung und ihrer ideologischen Funktion wäre Sinn und Ziel politischer Bildung.
Der Klassiker dieser wissenssoziologischen Position, die zugleich informierend wie aufklärend ist, ist George H. Mead und seine pragmatische Sozialphilosophie bzw. seine Theorie praktischer lntersubjektivität. In seinem klassischen Beitrag zur „objektiven Realität von Perspektiven” aus dem Jahre 1927 hat Mead die wesentlichen theoretischen Grundannahmen formuliert.
Die objektive Realität von Perspektiven
Ausgehend vom Thema „Geist und Natur” (!) entwickelt Mead die seiner Meinung nach „strategisch wichtige Position” einer „Objektivität von Perspektiven”, mittels derer er eine „Attacke gegen den metaphysischen Dualismus von Geist und Natur” vorträgt. Auf der Grundlage der „Philosophie der Relativität” (Whitehead) und psychologisch-anthropologischer Erkenntnisse über die Bindung von Wahrnehmung, Denken, Bewusstsein und Kommunikation an die menschliche Natur formulierter grundlagentheoretische Aussagen zu Gegenstand und Fragestellung der Sozialwissenschaften: „Ein und dieselbe Gesamtheit der Ereignisse” kann/ muss „in unendlich viele verschiedene Perspektiven eingeordnet” gedacht werden (von jedem Phänomen gibt es unterschiedliche Sichtweisen); gesellschaftliche Phänomene sind sozialwissenschaftlich nur über die Erfahrung (Empirie) von Individuen (und deren Auffassungen davon) Gegenstand von Untersuchungen („Umweltbedingungen zum Beispiel existieren nur insoweit, als sie sich auf wirkliche Individuen auswirken, und nur wenn sie auf diese Individuen wirken”); Gesellschaft entsteht dadurch, dass Individuen auch in der „Perspektive von anderen, insbesondere in der gemeinsamen Perspektive einer Gruppe handeln”; Gegenstand der Sozialwissenschaften sind gemeinsam geteilte und dadurch verstehbare Perspektiven, Ideologien, die den Niederschlag der Erfahrungen und deren psychische Verarbeitung darstellen. Durch Perspektivenübernahme („role-taking”, Empathie) ist gemeinsames Handeln möglich.
Neben einer „allgemeinen Perspektive”, die alle Mitglieder einer Gesellschaft gemeinsam teilen (der vielzitierte, aber eigentlich unmögliche „Grundkonsens”), existieren für jedes Thema, Phänomen oder Problem unterschiedliche, jedoch objektiv feststellbare Perspektiven (Alltagstheorien, Meinungen, Auffassungen). „Die gemeinsame Perspektive ist Verstehbarkeit (comprehensibility)”. Perspektiven können entstehen, objektiv (nachvollziehbar, verstehbar) werden und wie-der vergehen. Mead nennt hierfür als Beispiel das „Ptolemäische Weltbild”. Es gibt Perspektiven, die von allen, von vielen, von wenigen, nur von speziellen Gruppen oder von niemandem (mehr) geteilt werden. Demokratie besteht, so Mead, darin, dass Kommunikation und Reflexion über gemeinsam geteilte Perspektiven möglich sind. Und politische Bildung ist immer ein demokratischer Prozess.
Zusammenfassung
Ich gehe von der empirischen Erkenntnis aus, dass Menschen Wirklichkeit gesellschaftlich konstruieren, d.h. auf Grund ihrer Erfahrung und Lebenslage (Biografie) Alltagstheorien bilden zur Erklärung und Interpretation wahrgenommener Phänomene. Diese Auffassungen führen zu objektiven und verstehend nachvollziehbaren Perspektiven (Sichtweisen, Deutungsmuster). Kommunikation und Kooperation als gesellschaftliche Grundprozesse sind, so Mead, an gemeinsam geteilte Perspektiven gebunden. Die herrschaftsfreie Verständigung darüber (Diskurs nach Habermas) stellt die Basis der Demokratie dar. Verständigung erreicht man nur in einem Prozess der wechselseitigen Perspektiveinnahme („taking the role of the other” nennt dies Mead). Dazu sind Kenntnisse und Wissen über verschiedene Perspektiven notwendig. Und Verständigung, nicht Verstehen (welches mehr eindimensional und hierarchisch strukturiert ist), basiert auf Wechselseitigkeit, gegenseitigem Respekt und Anerkennung, auf Verzicht auf Macht, Herrschaft und Sanktionen und hat eine gemein-sam geteilte Perspektive zum Ziel.
Was heißt das für die politische Bildung? Bei jeder Themenstellung geht es zuerst darum, die „objektive Realität von (unterschiedlichen) Perspektiven” zu vermitteln, da die Teilnehmer*innen unterschiedliche biographische Erfahrungen gemacht haben, diese unterschiedlich verarbeitet und interpretiert haben und in unterschiedlichen gesellschaftlichen Situationen und Positionen (Ausbildung, Beruf, Familie, Vereine, Interessengruppen etc.) eingebunden sind (Lernziel Diversität und Toleranz). Ferner ist es notwendig, diese unterschiedlichen Sichtweisen (Alltagstheorien, Deutungen) kennenzulernen (Lernziel Wissen, Information, Erkenntnisse) und ihre Entstehung und Begründung nachvollziehen zu können (Lernziel Verstehen).
Dadurch relativieren sich auch die eigenen Perspektiven/Sichtweisen der Teilnehmer. Es wird deutlich, dass Perspektiven unterschiedlicher Art ihre gesellschaftlich-biographischen Ursachen haben, dass sie prozesshaft über Erfahrungen und deren Deutung (meist in Gruppen, vgl. „opinion leader“) entstehen und sich verfestigen oder auflösen können. In einem weiteren Schritt müsste sodann der Brückenschlag von den Alltagstheorien (Perspektiven gesellschaftlicher Gruppen) zu empirischen Fakten und darauf aufbauen-den wissenschaftlichen Theorien der unterschiedlichen Schulen/ Ansätze erfolgen (Lernziel Relativierung und Selbst-Reflexion). Alltagstheorien und wissenschaftliche Theorien basieren auf Prämissen/ Setzungen (Erfahrungen, Gruppenkontext, Interessen, Ideologien), die herauszuarbeiten sind (Lernziel: Abbau von Wissenschaftsgläubigkeit und ‑hörigkeit).
Informationen, Wissen und (Er)Kenntnis unterschiedlicher Perspektiven, deren Entstehung und gesellschaftlich-gruppenbezogener Einbindung und Absicherung (Legitimation) führen quasi automatisch zur Frage der dahinterstehenden Interessen und ihrer ideologischen Basis. Auch hierüber liegen unterschiedliche Perspektiven (Deutungsmuster, Erklärungen) objektiv vor (Stammtischthesen, Presseerklärungen, Parteiprogramme, wissenschaftliche Publikationen). Perspektiven werden in der Regel ideologisch abgesichert, um Interessen durchzusetzen und legitimieren zu können. Ideologiekritik bedarf der Kenntnis (Information und Wissensvermittlung) aller in Frage kommenden Ideologien (alltagstheoretische Deutungen, Erklärungen), um darüber reflektieren und diese relativieren zu können. Der diesem Konzept zugrundeliegende „totale Ideologieverdacht” (als „heuristisches Prinzip”) kann nur über Prozesse der Verständigung (der wechselseitigen Einnahme von Perspektiven) in einer alltags-fernen Situation (in Seminaren zur politischen Bildung) relativiert werden, in der Verstehen und Verständigung, Respekt und Toleranz, Reflexivität und Freiheit vom Druck des Handelns vorliegen.
Inwieweit diese „herrschaftsfrei” gewonnenen Einsichten (in die „objektive Realität und Berechtigung von Perspektiven”) und Reflexionen (über eigene und fremde Perspektiven und deren ideologische Absicherung) im Schon-raum von Bildungsveranstaltungen in alltägliches und/ oder politisches Handeln der Teilnehmer umgesetzt werden bzw. werden können/ sollen, ist, gemäß dieser aufklärerisch-undogmatischen Auffassung (unser Bild von politischer Bildung) einzig und allein Sache der Betroffenen — eben ihrer Erfahrungen, gesellschaftlichen Einbindung und Interessen, denn da-von kann sich kein Mensch befreien. Ich gehe aber davon aus, dass relativierende und reflexive Erkenntnisse zu Veränderungen (des Verhaltens, der Perspektiven, der Persönlichkeit im Sinne von „Erwachsenensozialisation”) führen, die mehr Toleranz, Respekt vor fremden Perspektiven, Verständigung und Kommunikation/ Kooperation zur Folge haben sowie zu einem Anwachsen einer „gemeinsam geteilten Perspektive” führen (optimistischer Aspekt).
Dieses didaktische Konzept, ich nenne es „Verständigung über Perspektiven“ habe ich in etlichen Veranstaltungen zur politischen Bildung eingesetzt. Was ist/ war nun das Besondere, das Bildende an diesen mehrtägigen Seminaren (denk-bare aktuelle Themen wären z.B. Corona und die Folgen, Ukrainekrieg, Klimawandel, Künstliche Intelligenz, neue Medien, Postdemokratie, Inflation, Mietenwahn etc.)?
Die Teilnehmer*innen lernen – je nach Thema – unterschiedliche Perspektiven (Deutungen) zu ein und demselben Phänomen kennen (Wissen: Geschichte und Geschichten), erweitern und relativieren dadurch ihre eigene Perspektive (Reflexion) und verstehen andere Perspektiven besser (wachsende Toleranz gegenüber z.B. „wissenschaftlichen”, „christlichen”, politisch-ideologischen, eher „esoterischen”, anthroposoph-ischen sowie alltagstheoretischen Sichtweise). Es wird deutlich, dass Perspektiven an Interessen und Ideologien gebunden sind. Es kann verdeutlicht werden, dass es objektiv (empirisch nachweisbar) unterschiedliche Perspektiven gibt, dass „die Wahrheit” nicht zu finden ist, dass alle Deutungen für ihre Nutzer auch Berechtigung haben, dass aber auch alle Deutungen/ Meinungen interessen- und ideologieabhängig sind. Kurzum: Es gibt nicht die eine richtige Theorie, es gibt nicht die eine objektive Wahrheit, es gibt eine Realität, aber verschiedene Wirklichkeiten, wenn es um Phänomene des Sozialen bzw. des menschlichen Zusammenlebens, menschlicher Erfahrungen und Interpretationen in Gesellschaften geht. Diese Konzeption einer wissenssoziologisch-ideologiekritischen Fundierung der politischen Bildung ist:
- informativ, nicht selektiv (alle möglichen und
denkbaren Perspektiven zum Thema stehen zur
Diskussion; Kennenlernen aller Alltags- und wissenschaftlichen
Theorien dazu – vgl. „Indoktrinationsverbot“
im „Beutelsbacher Konsens“);
- relativierend, nicht dogmatisch (es gibt keine allgemeine, nur eine von Interessen abhängige biographischsituative Präferenz für eine Perspektive);
- aufklärend, nicht manipulierend (alle Perspektiven werden nach Interessen und Ideologien hinterfragt – „totaler Ideologieverdacht“);
- reflexiv, nicht primär handlungsorientiert (Selbstreflexion und das In-Frage-Stellen eigener Perspektiven verändern und machen nicht unbedingt handlungsfähiger). Das Handeln in Alltag und Politik ist allein Sache der Teilnehmer und unterliegt deren Gewissen und Reflexionen, Erfahrungen und Interessen — jedoch: „Ist das Reich der Ideen erst revolutioniert, hält ihm die Praxis nicht mehr stand“ (Hegel);
- auf Verständigung, nicht Verstehen aus (Verstehen ist Voraussetzung für Verständigung; Verständigung meint gleichgewichtiges und wechselseitiges Aus-Handeln durch die Einnahme der Perspektiven des/ der Anderen sowie deren Respektierung und Tolerierung – „taking the role of the other“, Empathie bzw. „Exzentrizität“ – vgl. Newsletter zu „Menschenbild“);
- der Versuch eines kritischen Kompromisses, der auch zu einer Verständigung über unterschiedliche Perspektiven in der politischen Bildung (deren Prämissen, Interessen und Ideologien) führt, damit eine „gemeinsam geteilte Perspektive”, ein neuer Konsens in der politischen Bildung gefunden wird – „Politische Bildung” wird damit selbst zum Gegenstand politischer Bildung.
Quellen:
re:publica from Germany (https://commons.wikime-dia.org/wiki/File:Re_publica_2013_Tag_2_%E2%80%93_Stand_Bundeszentrale_f%C3%BCr_politi-sche_Bildung_(8717588252).jpg)